Donnerstag, 13. Dezember 2012

Universale Erkenntnis

für Susanna zur Anregung 

Was immer wir auch denken, wir denken nur ein Detail, einen Ausschnitt der Welt. Das Verstehen des Universums, des Ganzen, des Alleinen ist uns nicht möglich; es ist auch überhaupt nicht klar, wie ein solches Verstehen beschaffen sein könnte. Wer sich, beseelt von der Hoffnung, in die letzten Geheimnisse des Seins einzudringen, in die Wissenschaften vertieft, wird unausweichlich enttäuscht werden. Denn jede Wissenschaft hat bestimmte Gegenstände, Methoden und damit Grenzen. Das sollte uns jedoch nicht daran hindern, all unser Wissen zusammenzudenken und zusammenzufühlen. Ein Mensch, der nach Erkenntnis strebt, wird gar nicht umhinkommen, interdisziplinär zu denken; man muss es ihm gar nicht anraten, es ist ihm natürlich. Jedes bloß fragmentarische und isolierte Wissen ist wertlos. Um etwas zu verstehen, muss man alles verstehen -  so spricht die Intuition all jener, die nach Erkenntnis lüstern sind.

Wissenschaftliche Forschung beinhaltet, sich bescheiden zu müssen mit dem wenigen, was man innerhalb seines begrenzten Denkhorizonts herausfinden kann. Viele Wissenschaftler sind geblendet von den Erfolgen, die sie auf ihren Gebieten erzielen und verabsolutieren ihre Methode, um sie auch auf anderen Gebieten anzuwenden. So führt die Sehnsucht nach einer allumfassenden Erkenntnis oft zu einem schnöden Reduktionismus. Etwas wird auf etwas anderes zurückgeführt: Der Geist ist bloß eine neuronale Gewitterwolke, ein Gedicht bloß die Wiederspiegelung eines Klassenbewusstseins, die Liebe nichts anderes als ein biologisch erklärbares Phänomen. Der Reduktionismus erzeugt den Schein allumfassender Erkenntnis, indem er die Welt aus einem Punkt heraus zu erklären sucht, aus irgendetwas Wesentlichem, Zentralem, aus etwas, das allem anderen vorgeordnet sein soll. Ein Physiker könnte beispielsweise sagen, dass alles Physik sei, womit er auch sicherlich richtig läge, denn wer würde leugnen, dass alles auch eine physikalische Grundlage hat? Aber wäre es etwa zweckdienlich, ein Gedicht Hölderlins experimentell zu untersuchen?

All unser Wissen ist fragmentarisch. Wir können unsere Durchdringung steigern, niemals aber das Ganze gänzlich begreifen. Und doch können wir vielleicht gar nicht anders, als uns immer wieder neue Wege zu diesem unbekannten, bloß erahnten Ganzen zu erschließen. Das, was denjenigen antreibt, der nach Erkenntnis strebt, hat der religiöse Mensch immer schon erreicht, und zwar ohne große Mühe. Wer denkt, denkt unweigerlich etwas Bestimmtes, während der Gläubige sich mit dem Ganzen verbunden fühlt. Und ist es nicht naheliegend, an etwas, das man nicht gedanklich fassen kann, zu glauben? Ist es nicht sogar unausweichlich? Müssen wir nicht alles, was wir verstehen wollen, bereits als Verstehbares antizipiert haben, um es überhaupt verstehen zu können? Könnte also die Antizipation des Alleinen das Movens selbst einer jeden partiellen Erkenntnis sein? Wir wissen, dass wir niemals alles wissen werden. Aber wer besäße Konsequenz genug, aus dieser so unabweislichen Ahnung den so naheligenden Schluss zu ziehen, dass das Streben nach allumfassender Erkenntnis aufzugeben sei? Wir mögen unsere Ambitionen begraben - unser unwiderstehlicher Zug hinaus und hinauf ins Umfassende, Verbindende, kosmisch Antizipierte und Allumschließende wird durch diesen bloß verstandesmäßigen Entschluss überhaupt nicht berührt, sondern lediglich modifiziert.

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank!

    Verzeih mir, wenn ich nicht so gleich zu antworten vermag. Wahrscheinlich wird die Antwort so oder so sehr banal ausfallen und dadurch den Anschein erwecken unwesentlich zu sein. Vielleicht auch nicht. Oder, ich bleibe eine Antwort gänzlich schuldig. So oder so, Anregung ist es sehr wohl und darum werde ich Zeit brauchen, gedanklich zu ordnen. ;)

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  2. Fühle dich nicht unter Druck gesetzt ;) Wenn du mit dem Text etwas anfangen kannst, bin ich ganz zufrieden. Manche Dinge hatte ich vor dem Schreiben auch noch nicht so gesehen bzw. in den Blick genommen. Insofern hat sich das Schreiben auch für mich gelohnt.

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