Dienstag, 24. Juli 2012

Glück und Stolz

Wenn es dem Menschen auch nicht vergönnt sein mag, an der Glückseligkeit sich zu erfreuen, so muss er darum noch kein unglückliches Dasein fristen. Dies ist meine frohe Botschaft, eine Botschaft, deren angestrengtes Lächeln gleichwohl nicht übersehen werden darf.

Wer nach dem Glück strebt, wird, insofern sich all sein Streben auf ein Objekt konzentriert, notwendig unglücklich werden, wenn er von diesem abgeschnitten bleibt. Unglücklichsein ist das klare Bewusstsein davon, des Glücks zu ermangeln.

Die Möglichkeit, wenn schon nicht des vollkommenen Glücks, so doch zu einer gewissen Zufriedenheit, die dem Unglück entschieden vorzuziehen ist, besteht im Stolz. Kein Glücklicher ist stolz auf sein Glück: er ist dankbar. Stolz ist der Mensch vielmehr darauf, einem widrigen Milieu, einer unvorteilhaften Konstitution oder einem misslichen Umstand das Beste abgetrotzt zu haben. In dem Bewusstsein, dem mächtigen Impuls des vorzeitigen Abbrechens, Aufgebens und Fahrenlassens der gewählten Aufgabe nicht nachgegeben zu haben, genießt der stolze Mensch seine Autonomie und Widerstandskraft. Dabei ist er weder sonderlich glücklich noch unglücklich.

Während die Erinnerung an ein vergangenes Glück die Sehnsucht nach diesem unendlich anwachsen lassen, ja bis zur Verzweiflung aufschaukeln kann, vermag die Rückbesinnung auf den bewältigten Lebensweg das Gemüt zu erwärmen.

Sonntag, 8. Juli 2012

Die anderen Engel

Ich werde den Himmel stürmen, um den Engeln die Flügel auszureißen. Kein Traum mehr darf die Sehnsucht nach dieser Sphäre nähren. Die Menschen dürfen sich nicht in überirdische Flattertiere hineinträumen. Mit aller Härte und Grausamkeit müssen sie immer wieder daran erinnert werden, in was für einer Lage sie sich befinden und dass sie ihre einzige Rettung wiederum nur im Menschen finden können. Wie konnte es soweit kommen, dass sie gerade dies vergaßen? Es gibt noch andere Engel. Ich werde sie euch zeigen.

In nicht allzu ferner Zukunft wird ein Netzarchäologe mein Konvulut finden und als Quelle in seiner Abschlussarbeit verwenden. Ich werde als Beispiel für einen desorientierten, psychisch-verwilderten jungen Erwachsenen zu Beginn des 21. Jahrhunderts herhalten müssen. Nun gut, besser als gar keine Rezeption. Er wird meine Zeilen lesen wie ein Arzt, ohne jede Rührung, brütend bloß über der Frage, wie meine Persönlichkeitsstörung zu klassifizieren sei. Das würde mich allerdings auch interessieren. Obwohl ich die Psychatrie als menschenverachtend ablehne. Ich bin ein denkendes Ding, res cogitans, wie Descartes, zwar nur ein Schilfrohr, aber ein denkendes Schilfrohr, wie Pascal gesagt hat. Er bezog diesen Satz auf den Menschen; und ich beziehe ihn auf mich, denn ich bin ein Mensch, auch ein Mensch, genau wie ihr, ohne Abstriche. Ich interpretiere mein Menschsein eben anders. Um meine Gedanken widerlegen zu können, muss man sie zuallererst verstanden haben; es genügt nicht, blasiert anzumerken, dass hier etwas faul sei. Was geht mich eure geistige Sterilität an? Euer Mangel an Phantasie, an Intelligenz? Ich werde mit lachender Bosheit den Satz niederschreiben, dass ich das wiedererstandene Herz Robbespierres sei, um mich daran zu ergötzen, eure anerkannt-seriösen Gehirne wie betrunkene Ratten im Labyrinth herumtorkeln zu sehen.

Freitag, 6. Juli 2012

Liebeserklärung an die Nacht

Ich bin ein Kind der Nacht. Wach zu sein, während andere schlafen - dieses romantische Bild lässt erahnen, wie ich mich fühle, immer gefühlt habe. Wenn ich mich aufmache, um mit dem Bus ziellos durch die Stadt zu fahren, bin ich ... glücklich. Ich schaue abwechselnd aus dem Fenster oder lese in Taschenbüchern. Um gut zu denken, brauche ich Bewegung und den Fensterplatz in der letzten Reihe. Die Menschen, denen ich nachts begegne, sind keine Getriebenen, keine Gehetzten, keine, denen man ansähe, dass sie etwas Dringendes zu erledigen hätten. Auch für sie ist die Nacht immer noch etwas Besonderes, trotz all den Jahren der Gewöhnung. In Gegenwart von Paaren, Gruppen oder marodierenden Banden vermag ich nichts auszurichten; wenn ich aber den einsamen Gestalten der Nacht begegne, fühle ich mich ganz unter meinesgleichen. Jedem schaue ich ins Gesicht und denke: Ach, du auch noch wach?" Tagsüber dächte ich nur: Ach, noch einer von der Sorte. Die Nacht kennt keine Massen; nachts ist es noch möglich, Menschen zu begegnen, ohne diese Begegnungen forcieren zu müssen. Kein Einander-einen-guten-Morgen-Wünschen, kein freundlicher Blick, kein Gespräch über das Wetter, nichts. Wenn die Leute sprechen, kommt meist nur Unsinn dabei heraus; daher liebe ich die Schweigsamkeit der Wachgebliebenen. Sie gibt ihnen die Würde zurück, die ihre Physiognomie suggeriert. Ein junges Mädchen, vielleicht 14 Jahre alt, schaut nachdenklich aus dem Fenster, sich mit der Hand ihr zartes Gesicht abstützend. Sie prüft ihre SMS, tippt etwas mit wirschem Blick und scheint leise über die Dummheit der Welt zu stöhnen. Dann schaut sie wieder aus dem Fenster. Ich bin glücklich. Erst recht, wenn dann noch der Regen laut gegen die Fensterscheiben prasselt und sich das gelbe Licht der Straßenlaternen in den Tropfen spiegelt. Es gibt nichts Schöneres, als in einer kalten, regnerischen Nacht ziellos durch die Stadt zu fahren und über die Möglichkeit menschlicher Beziehungen nachzudenken.

Mittwoch, 4. Juli 2012

Wider den Meinungsrotz

Was ist alles Wissen wert, wenn es an der persönlichen Souveränität mangelt, sich nichts darauf einzubilden, etwas zu wissen? Dass wir nichts wissen können, ist ein erfrischend resignierender Gedanke, dem man sich hin und wieder aussetzen muss, um nicht in die eigene Falle zu gehen. Man muss sich immer auch ein paar kleine Gegengifte gegen den eigenen Hochmut bereithalten.

Wonach streben wir, wenn wir nach Wahrheit streben? Wir wissen es nicht, denn wüssten wir es, wären wir der Wahrheit bereits teilhaftig geworden. Folglich streben wir nach etwas, das wir nicht kennen. Gesetzt den Fall, wir stießen endlich auf die Wahrheit, woher wüssten wir, mit jener Unbekannten zu tun zu haben? Müssten wir, um die Wahrheit erkennen zu können, nicht schon vorher wissen, woran wir sie erkennen werden? Müssten wir im Grunde also nicht schon wissen, wonach wir streben, wenn wir uns nach der Wahrheit auf den Weg machen? Wozu streben wir also?

Das Denken beginnt mit der Langeweile darüber, immer nur der eigenen Meinung zu sein. Es ekelt mich an, überall meinen Meinungsrotz kleben zu sehen.

Wo man nicht mehr liebt, soll man vorübergehen.

Philosophie ist erotisch, Ideologie pornographisch. Diese sucht die Wahrheit, die jene bloß besitzt.