Samstag, 30. März 2013

Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit wird gerne als Argument bemüht, wenn es darum geht, auf irgendeine Randgruppe oder ganze Völker einzudreschen. "Das wird man ja noch sagen dürfen." Der Freiheitsbegriff, der solchen Aussagen zugrundeliegt, ist sehr plump. Demnach ist frei, wer ohne alle Rücksichten sagen kann, was er will.

Und so schreibt man im Namen der Meinungsfreiheit munter drauf los, verbreitet zum Beispiel seine dummen Vorurteile über die dummen Türken oder die faulen Griechen. Man wird ja wohl noch kräftig spalten und die Saat des Hasses zwischen den Menschen pflanzen dürfen! Man wird ja wohl noch Staaten gegeneinander aufhetzen dürfen! Man wird sich ja wohl noch aus dem reichen Bestand an Stereotypen bedienen dürfen, die die Kulturgeschichte für uns bereithält, um zu beweisen, dass die Kamelficker schon immer minderwertig waren! Man wird ja wohl noch zeichnen dürfen, wie sich der Prophet einen runterholt, denn damit setzt man die ehrbare Tradition aufklärerischer Streitkultur fort! Man wird ja wohl noch rassistische, nationalistische und sexistische Scheiße unter das Volk bringen dürfen, weil die Leute eben nichts anderes als diese Dummscheiße verdauen können! Die sind eben so! Die brauchen das! Man wird ja wohl noch den Selbsthass, den man dumpf empfindet, an Fremden auslassen dürfen! Sich auf Kosten anderer erleichtern, das ist Aufklärung, das ist Freiheit, das ist überhaupt das Glück! Und so schmiere ein jeder seinen gammelnden Meinungsrotz in alle Ecken, damit auch jeder erfahren kann, wie geistlos unser Zeitgeist vielleicht noch einmal werden kann! Je dümmer, desto ehrlicher! Desto freier!

Mittwoch, 27. März 2013

Schneekristalle

Gedanken sind wie Schneekristalle. Ihre raffiniert-kleinteilige Schönheit mag uns inspirieren und unsere Phantasie an ihren empfindlichsten Stellen kitzeln. Ihre strenge Geometrie entbehrt doch alles Forderndem, Zwingendem und Zwanghaftem, denn der Frühling ist nahe. So schmelzen sie dahin, die kleinen Ahnungen von Ewigkeit. Ein wenig glitzern sie noch in der Sonne, einmal noch leuchtet ihr sterblicher Stolz. Dann ist es vorbei. "Nur Wasser", flüstert der Tauwind und streicht mild über die erwachende Landschaft. Der Frühling des Geistes ist ein immerwährender.

Diese Gedanken sind nicht falsch. Aber sie sind vergänglich. Sie werden ihre eigene Wahrheit nicht überleben. So wie die Eiskristalle sich wieder verflüssigen werden, so werden auch sie wieder ganz in dem Geist aufgehen, von dem sie sich nur in der Einbildung zu unterscheiden vermögen.

Freitag, 22. März 2013

Beleidigungen

Man sollte sich aus Beleidigungen nicht viel machen. Der Beleidiger verletzt nicht nur die Person, der seine Worte gelten, sondern immer auch sich selbst. Wir wissen doch, wie wir uns fühlen, wenn wir jemanden fertig gemacht haben. Fühlt sich so wirkliches Glück an? Der Ausdruck einer gewissen Befriedigung liegt auf unseren schadenfrohen Gesichtern, ja. Die göttliche Bosheit, die Nietzsche so gerühmt hat, offenbart jedoch weder den Reichtum noch die Tiefe einer Seele, sondern bloß ihre Unfähigkeit, ohne An- und Übergriffe bei sich zu verweilen.

Wenn mich jemand beleidigt, gibt er mir damit Folgendes zu verstehen: Ich leide und ich mache dich dafür verantwortlich! Oft mag es schwerfallen, diese Perspektive einzunehmen. Ohne tägliche Einübung kann man sie nicht erlangen; es genügt nicht, sie zu "verstehen", weil dieses Verstehen erst durch sich selbst wachsen kann. Es ist eine Praxis. Das Leben spült uns jeden Tag in hunderte von Situationen, denen wir nur unsere Aufmerksamkeit zu schenken brauchen, um die lehrreichsten Einsichten aus ihnen zu ziehen.

Mittwoch, 13. März 2013

Die Quelle

Ihr sucht einen Halt, irgendeinen Punkt, aus dem euch keiner mehr vertreiben kann? Ein System, aus dessen schattigen Winkeln heraus ihr beruhigt auf die Welt hinblicken könnt? Den festen Boden, das sichere Fundament, das himmlische Jerusalem auf Erden als Ergebnis eurer intellektuell geläuterten Arbeit? Eine wohlbegründete Position? Aber wie lange soll euer Standpunkt stehen? Für alle Zeiten? Seid ihr nach dem unwandelbar Wahren lüstern, danach, von Ewigkeit zu Ewigkeit Recht zu haben? Ahnt ihr es denn nicht, dass Geist heißt, auf dem Wege zu sein? Wenn ihr eine Antwort wollt, werdet ihr sie auch bekommen. Wer antwortete euch da aber, wenn nicht eure Ungeduld, auf eine Antwort zu warten? Und was erreichtet ihr, als bestenfalls ein neues Schmuckstück in die Armee eurer Krücken eingliedern zu können?

Es gibt keine Sicherheit ohne Güte und Praxis. Mit anderen Worten: durch das, was man ist, was man tut. Wollt ihr einem mit scharfem Strich gezeichneten Grundriss gleichen? Einem Unbewegten, Toten? Wollt ihr den Menschen eherne Routinen aufzwingen? Wollt ihr, das alle gleich denken, damit ihr nicht mehr zu fürchten braucht, etwas zu lernen? Liebt ihr es, euren Horizont mit Menschen zuzustellen, die euch nicht widersprechen? Aber Sicherheit besteht nicht darin, unangreifbar zu sein, sondern zu wissen, dass man angegriffen werden kann.

Solange ihr nach einem Fundament sucht, vermag euch ein Lachen zu vernichten. Wäre es nicht ungleich schöner, nach warmen Quellen zu suchen? Und wäre das schönste nicht, selbst eine solche Quelle zu werden, zu sprudeln und sich wohltuend zu ergießen, auf eine Weise gleich zu bleiben und sich doch beständig zu wandeln? Man denke etwa an einen buddhistischen Mönch, der seine Aufmerksamkeit einer kleinen Auswahl Sutren widmet, sie rezitiert und singt. Er liest sie jeden Tag. Tut er also jeden Tag dasselbe? Wäre er bloß ein Suchender, hätte er sein Büchlein schon lange beiseitegelegt. És hätte ihn gelangweilt. Auf seinem Gesicht liegt jedoch der Ausdruck von Dankbarkeit und Freude. Was ist hier geschehen?

Montag, 11. März 2013

Verantwortungslos?

Schlichte Gemüter schimpfen gerne auf Menschen, die keine Familie gründen wollen. Das sei unverantwortlich. Sie empfinden es als unerhört, dass die Mühen, die sie sich aufgeladen haben, anderen erspart bleiben sollen. Als ob nicht auch sie die Wahl gehabt hätten, anders zu leben!  "Dann sterben die Deutschen aus." Ja, warum denn eigentlich nicht? "Dann bricht das Rentensystem zusammen." Zeig' mir jemanden, der nur deshalb eine Familie gegründet hätte, um das Rentensystem zu retten. Jetzt mal im Ernst, das sind alles lächerliche Gründe. Rationalisierungen, die aus der dumpfen Angst vor der Freiheit geboren sind. Man übernimmt sehr wohl Verantwortung, wenn man sich gegen eine Familie entscheidet. Sogar eine sehr große. Nicht gegenüber irgendeiner Kasse, einem Volk, dem Deutschtum oder einem sonstigen Kollektiv-Imago, sondern gegenüber den Menschen, die diese Entscheidung konkret beträfe. Wer es wagt, sich die eigene Wahrheit nicht zu verbergen, kann leicht eruieren, ob für sie oder ihn eine Familie eine reelle Option ist oder nicht. Leider ist der infantile Impuls - "Ich will aber auch eine Familie und Kinder haben! Warum gerade ich nicht?" - in vielen Seele wirksam, so dass viele Kinder in ein Leben hineingezwungen werden, das besser nie entstanden wäre, "aus Prinzip".

Dienstag, 5. März 2013

Unendliche Substanzlosigkeit

Die Vorstellung, das Gute könne mit dem Bösen im Kampfe liegen, ist eine Projektion des Bösen. Denn dass dieser Kampf stattfände, bedeutete schon den Sieg des Bösen. Es bedeutete, dass seine Provokation erwidert und damit auch der seelische Unterschied jener beiden Prinzipien zugunsten des bösen Prinzips aufgehoben worden wäre. Das Gute kämpft nicht und siegt nicht. Es ist.

Das Böse kann nur im Schatten überleben; es bedarf der Lüge, der Unklarheit und der leuchtenden Rhetorik, um darüber hinwegzutäuschen, dass es in einem substantiellen Sinne nicht existiert. Es kann nicht triumphieren. Wo immer es siegt, hat es die Herrschaft über eine längst verlöschende Seele errungen. Wer von dieser Seelenkrätze befallen ist, verfügt über ein besonders feines Sensorium für die offen Wunden der anderen. Allerdings nicht, um ihnen zu helfen, sondern um mit aller Kraft in diese Wunden hineinzustoßen. Das Böse drängt danach, Hass und Missgunst auf sich zu ziehen, um nur niemals seiner unendlichen Substanzlosigkeit gewahr zu werden. Nichts fürchtet es mehr, als einen ruhigen Blick auf sich selbst zu werfen. Böse Menschen ahnen wohl, dass sie böse sind, aber sie wagen es nicht, sich zu kennen. Sie ängstigt das Auge, das ihnen bis auf den Grund der Seele sieht, das gütige Auge eines reifen Menschen. In seiner Gegenwart kommen sie sich wie Kinder, Patienten oder beides zugleich vor. Was sie meinten zu sein, liegt in Scherben um sie gestreut. Das darf nicht sein. "Immer diese Gutmenschen, die sich für sonstwas halten!"

Sonntag, 3. März 2013

Ein großer Spaß

Ist es ein Einwand gegen einen Philosophen, dass er nicht glücklich ist? Ich denke ja. Philosophie heißt Liebe zur Weisheit. Wie viel Liebe und wie viel Weisheit steckt in dem, was heute an den Universitäten produziert, getan und gelassen wird? Was nützte es, die zweiundzwanzigtausendste Arbeit über die Kategorien bei Aristoteles in zehn schlaflos durchgearbeiteten Nächten unter dem Einfluss von Nikotin und Koffein so auf's Papier zu rotzen, dass sie dem überreizten und überzüchteten Gehirn des Dozenten wohlschmeckte? Was nützte es, mit einem verworrenen Zorn im Herzen durchzuhalten, um nur irgendwie die verdammte Abgabefrist einzuhalten? Und das nur, um eine Arbeit abzuliefern, die ohnehin niemand lesen wird. Dieses ganze Geschäft wäre eigentlich nur als großer Spaß gerechtfertigt. Aber wer lachte darüber? Die geistige Freiheit, als deren Heimat sich die Universität gerne betrachtet, fehlt - und damit auch das befreiende Lachen freier Geister.