Freitag, 4. Januar 2013

Differenzen

Die Menschen sind verschieden. Aber was folgt aus dieser Verschiedenheit? Ich wage die Behauptung, dass uns jeder Gedanke schmerzt, der diese Verschiedenheit verabsolutiert. Ob Rassenhass, Neid, Scham, Konkurrenzstreben oder Bosheit, bei all diesen Phänomenen gelingt es dem von ihnen beherrschten Menschen nicht, die Differenz zwischen sich und den anderen zu überbrücken: Er ist allein. Natürlich gibt es auch vielfältige Weisen, die Differenz offensiv zu denken. Manchmal macht es Spaß, jemanden, den man nicht leiden kann, leiden zu sehen. Jeder sportliche Wettkampf lebt davon, dass es Sieger und Verlierer gibt. Den gegnerischen Spieler oder die gegnerische Mannschaft niederzukämpfen, ist irgendwie schön. So ernst man den Sport jedoch auch nehmen mag, er ist nur ein Spiel. Das heißt, dass die Differenz zwischen den Sportlern nur scheinbar gesetzt wird. Eigentlich kann man gut miteinander, auch wenn man sich auf dem Spielfeld gerade umgetreten hat. Es ist ein großer Fortschritt, wenn sich Völker, anstatt übereinander auf Schlachtfeldern herzufallen, sportlich bekämpfen.

Jeder Wettkampf beruht auf etwas Objektivem, sonst könnte es keinen Sieger geben. Im Seminar gibt es kein objektives Kriterium dafür, wer Recht hat. Ergo: Man schwätzt. Hitzige Debatten mögen interessant sein; die Hoffnung jedoch, den anderen durch die bloße Kraft der Argumente umzustimmen, ist naiv. Ich habe noch niemals erlebt, dass sich jemand im Seminar hat überzeugen lassen. Wenn es kein objektives Kriterium für eine Niederlage gibt, warum sollte man sie sich dann jemals eingestehen? Man kann ja immer weiterreden.

Man kann sich nur mit einem Menschen vergleichen, sofern man ihn auf gewisse Aspekte reduziert, etwa das Äußere oder die Intelligenz. Nur in Bezug auf einzelne Aspekte kann ein Mensch besser als ein anderer sein. Jeder schmerzliche Gedanke zergliedert den Menschen in Aspekte, mit anderen Worten: Er bringt ihn um. Wenn ich neidisch bin, neide ich etwas, das der andere hat. Wenn ich jemanden um sein Äußeres beneide, reduziere ich mich auf meine Hässlichkeit. Wenn ich mich aufgrund meiner kaukasischen Haut überlegen fühle, abstrahiere ich freiwillig von mir. Um mich besser als ein anderer zu fühlen, muss ich mich selbst zuerst zugerichtet, reduziert, vereinfacht, ja im Grunde lächerlich gemacht haben. Es mag schön sein, einen anderen  scheitern zu sehen. Ist diese Freude jedoch allzu groß, verrät sie innere Armut. Ob man gewinnt oder verliert, letztlich ist man immer noch etwas mehr als bloß ein Sieger oder Verlierer, nämlich ein konkreter Mensch.

Der gütige Mensch interessiert sich gerade für Differenzen. Er neidet die Schönheit eines Menschen nicht, sondern will ihn noch ein wenig schöner machen, indem er ihn zum Lachen bringt. Wir sind Künstler, die einander verschönern. Es ist ein Zeichen von Stärke, wenn man die Differenzen sucht, um sie zu genießen. Mit den eigenen Leuten kann jeder gut. Interessant wird es jedoch, wenn man neue Menschen kennenlernt. Güte ist das Wohlgefallen an der Individualität des anderen. Jeder Gedanke, der das Band zwischen uns wieder knüpft und befestigt, füllt unsere Herzen mit Freude und Zuversicht. Ja, das ist wirklich so einfach!

4 Kommentare:

  1. Bestimmte Dinge an anderen Menschen zu entdecken, die diese besonders machen, diese Dinge dann, wenn möglich, zu fördern und sich darüber freuen, dass es einen Menschen gibt, der dieses Atribut besitzt, ist wahre Freude. Leider scheinen dies viel zu wenig Personen so zu sehen. Dabei sind es doch gerade die Differenzen zwischend den Menschen, die das Menschsein zu etwas besonderen Menschen, die der "Person" ihren besonderen Status verleiht.

    Aber da Menschen anscheinend von Natur aus nur Freude auf kosten anderer und nicht dank anderen empfinden können, trifft dein Text wieder einmal voll ins Schwarze. Denn das einfachste ist häufig dass, was keiner macht.

    Viele Grüße,
    Pearl.

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  2. "Güte ist das Wohlgefallen an der Individualität des anderen." --- endlich mal eine Definition von Güte, mit der selbst ich was anfangen kann :o) ein Wahnsinnstext! Tut gut, sowas zu lesen :o)

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  3. Mir fällt es gänzlich schwer zu verstehen oder nachzuvollziehen, warum menschen unter dem dauernden drang stehen sich zu vergleichen!!! Ich mach das nicht gern und wenn es doch mal dazu kommt, dann weil ich mich vielleicht in meinen rechten als mensch oder als frau eingeschrenkt fühle, wie zum beispiel, wenn ich handwerkliche dinge machen möchte und mir das keiner zutraut, weil ich klein und zierlich bin ...
    Ich würde nie meinen intellekt oder mein aussehen oder mein leben mit dem eines anderen menschen vergleichen oder jemals besser sein wollen als jemand anderes, oder mich jemandem gegenüber kleinreden, denn ich denke, dass das garnicht geht! Jedr mensch ist eine individuelle zusammensätzung aus hirnschmalz, fähigkeiten und macken, man kann doch auch äpfel nicht mit birnen vergleichen ;)

    Übrigens wiedermal ein wirklich guter text :)

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