Donnerstag, 10. Januar 2013

Erst einmal darüber nachdenken (Dialog)

Emil: Ich verstehe nicht, was man der Skepsis vorwerfen könnte. Für mich gehört sie zur geistigen Hygiene einfach dazu. Warum ziehen es die Menschen vor, sich selbst einzulullen und ihre Köpfe in die Wolken zu stecken, anstatt die Dinge so zu sehen, wie sie sind? Ich finde das unredlich.

Sophia: Ich treffe viele Menschen, deren Ansichten sich oft gravierend unterscheiden. Solange ich jedoch das Gefühl habe, es mit einem guten Menschen zu tun zu haben, werde ich mich hüten, einen Streit über Meinungen loszutreten. Das ist mir dann einfach nicht wichtig.

Emil: Was aber, wenn dieser Mensch von vollkommen irrigen Prämissen ausgeht, die den Stolz deines Verstandes verletzen müssen? Kann ein Mensch gut sein, der es nötig hat, an Unsinn zu glauben? Und selbst wenn er nicht daran glaubte, wäre es dir nicht unerträglich, ihm nicht zu widersprechen?

Sophia: Ehrlich gesagt interessiert es mich nicht allzu sehr, von welchen Prämissen ein Mensch ausgeht. Natürlich widerspreche ich auch, aber nur dann, wenn ich glaube, dass jemand Dinge sagt, die ich nicht tolerieren kann. An einer geistigen Hygiene, wie du sie verstehst, bin ich nicht interessiert. Wenn mir an ihr gelegen wäre, hätte ich viele bereichernde Gespräche bereits im Keim abtöten müssen. Und wozu?

Emil: Du bist eben ein Mensch, der es nicht so genau nimmt. Solange du meinst, dass es der andere gut mit dir meint, bist du bereit, ihm zu folgen. Ich denke, dass das Falsche immer von Übel ist, ganz gleichgültig, ob ich mit demjenigen, der es ausspricht, sympathisiere oder nicht. Man kann das Gute nicht ohne das Wahre erlangen!

Sophia: Das ist schön gesagt. Was aber, lieber Emil, soll ich mir nun unter dem Wahren vorstellen? Was mich an den Auffassung der Menschen interessiert, ist doch, dass sie mir ganz verschiedene Antworten auf diese eine Frage geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur eine Meinung wahr sein könnte, während alle anderen falsch sind. Wenn sich die Wahrheit damit zufriedengäbe, sich in nur einer Formel einfangen zu lassen, müsste ich wohl Partei gegen sie ergreifen - zum Wohle all der Menschen, die ich liebe.

Emil: Wenn du dich für die Wahrheit nicht interessierst, interessierst du dich letztlich auch nicht für das, was die Menschen sagen, sondern bloß dafür, dass sie überhaupt mit dir sprechen. So schätze ich dich jedoch nicht ein. Auch jetzt versuchst du doch, mich von deiner Sichtweise zu überzeugen.

Sophia: Ich will dich nicht überzeugen. Was hätte ich davon? Mir liegt nur daran, dass du verstehst, was mir wichtig ist. Wenn es dir schlecht geht, brauchst du irgendeine Krücke, zum Beispiel den Satz eines Philosophen, um dich wieder aufzurichten. Deshalb bist du vielleicht auch so auf Wahrheit fixiert. Ich verstehe das nicht. Als ob die Wahrheit davon abhinge, ob ein Satz wahr oder falsch ist! Als ob alles Wohl und Wehe an einer einzigen Konklusion hängen könnte! Das hat für mich nichts mit Redlichkeit zu tun, eher mit so etwas wie Verstocktheit. 

Emil: Verstocktheit? Willst du mich moralisch disqualifizieren, weil du mich in einem vernünftigen Gespräch nicht zu überzeugen vermagst? Das ist keine gute Angewohnheit von dir, das habe ich dir schon oft gesagt.

Sophia: Und ich habe dir immer wieder widersprochen. Du kannst jemanden, der sich zu Recht aufregt, nicht einfach als dämlichen und unbeherrschten Menschen dastehen lassen. Deine kühle Distanziertheit werde ich wohl niemals erreichen. Aber ich brauche sie auch nicht. Alle meine Hoffnungen tragen die Namen lebendiger Menschen. Menschen, von denen ich weiß, dass sie zu mir stehen. Was nützt mir alle Wahrheit dieser Welt, wenn ich alleine dasäße und es mir dreckig ginge? Ich verstehe nicht, wie man sich mit irgendwelchen zusammengesuchten Maximen und Lebensregeln über Wasser halten könnte!

Emil: Was hält dich über Wasser, Sophia?

Sophia: Warum stellst du mir ausgerechnet diese Frage? Die Menschen natürlich. Sie sind alles, was ich habe.

Emil: Alles? Echt? Darüber muss ich, glaube ich, erst einmal nachdenken.

2 Kommentare:

  1. In der philosophie geht es doch nicht darum eine einzige wahrheit zu finden, eine antwort, die unservdasein rechtfertigt?! Wenn man das mal rein biologisch hinterfragt und mal das menschliche hirn betrachtet , muss man erkennen, es garnicht eine realität oder eine wahrheit geben ,kann da jeder von uns, selbst eineiige zwillinge ein individuelles gehirn besitzen, welches unser denken durch und handeln durch chemische prozesse, elektrische impuslse und die ausschüttung von neurotransmittern koordiniert!
    Jeder sieht die welt anders ...meine matrix ist nicht deine , wir werden niemals in der lage sein, die welt so zu betrachten und wahrzunehmen wie sie tatsächlich ist, weil wir dauernd von inneren prozessen geleitet werden!
    Man kann sich also nicht der reinen logik hingeben, weil man dann kein mensch mehr wäre, man muss sich auf irgendetwas stützen, auch wenn dieses fehlerhaft sein sollte, wie wir selbst ....

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  2. Ein sehr schöner Text. Vielen Dank, dass ich daran Teil haben kann. Es führt mich auf längst vergangene Gespräche zurück. Wahr oder Unwahr? Der Mensch ist keine mathematische Zahl und die Welt auch nicht. Wäre es so, gäbe es wohl nur eine Wahrheit. Es wäre eine simple Rechnung. Leicht zu überprüfen. Da dem aber nicht so ist, bleibt alles nur ein Spiel im unüberschaubaren Zucken von Wahrscheinlichkeiten.
    Die Wahrheit seh ich oft als Kind im Spiel. Vollkommen selbstvergessen steht es vor einem Spiegel und probiert mal jenes und mal dieses Kostüm an. Alle sind passend. Wie auf den Leib geschneidert und manche mag das Kind lieber als andere. Für eine unbestimmte Zeit.

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