Samstag, 12. Januar 2013

Nachahmung

Das Humane haftet an der Nachahmung: ein Mensch wird zum Menschen überhaupt erst, indem er andere Menschen imitiert. (Adorno)

Ich kann gar nicht schreiben. Aber ich tue so, als ob ich schreiben könnte. Außerdem ahme ich jene nach, die schreiben können. Irgendwann sagte mir jemand: So wie du will ich das auch einmal können! "Sehr gut", versetzte ich, "dann ahme mich nach, so wie auch ich immer nur nachgeahmt habe!" Es bedarf keines besonders ausgefallenen Verhaltens oder eines originellen Stils, um als sogenannte Persönlichkeit in Erscheinung zu treten. Die Weise, wie man nachahmt, reicht vollkommen aus. Sie offenbart die ganze Individualität.

Es gilt als charmant, jemandem zu sagen, er oder sie sei eine inspirierende Persönlichkeit. Genauso gut könnte man ihm oder ihr allerdings auch folgende Worte zuflüstern: "Ich halte es für äußerst lohnenswert, dich zu kopieren." Im Grunde müsste man drei mal leben, um im dritten Versuch vielleicht einmal weise genug zu sein, nicht mehr improvisieren zu müssen. Aber wir leben nur einmal. Wir wissen nicht, was das alles soll. Deshalb ahmen wir jene nach, die auf uns den Eindruck machen, sie wüssten, worauf es in diesem rätselhaften Dasein ankommt. Und auch diese haben sich - man ahnt es - schon bei anderen abgeschaut, wie man einen solchen Eindruck erwecken kann. Ein Mensch wird zum Menschen überhaupt erst, indem er andere Menschen imitiert - und von ihnen abschreibt. 

10 Kommentare:

  1. M. E. stellt die Nachahmung den Anfang der Selbstfindung dar, einen ganz praktischen :)

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  2. Ich denke, dass Nachahmung zwar ein sehr wichtiger Bestandteil im Menschwerden ist, aber dass ein Mensch niemals glücklich wird, wenn er nur kopiert. Natürlich sind nahezu sämtliche Fähigkeiten, über die wir verfügen, wie das Schreiben, Rechnen,Sprechen etc. ein Ergebnis unserer Nachahmung von anderen Personen, aber die Art des Einsetzen dieser Fähigkeiten ist unserer Kreativität überlassen. Vor allem im Bereich der Kunst findet sich eine sehr große Kreativität, in der auch neues Geschaffen wird. Das selbe gilt teilweise auch für die Literatur.
    Ich würde sagen, dass wir Menschen zwar Nachachmer sind, aber über unsere Kreativität immmer neues erschaffen können.

    Viele Grüße,
    Pearl.

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  3. Schöner Spruch der mir dazu einfiel (natürlich abgeschrieben):
    "Kunst kommt von Können, nicht von Wollen. Sonst würde es ja Wunst heissen."
    Imitieren ist der Anfang. Nicht jedoch der Ausgang.

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  4. Dass Kunst von Können kommt, halte ich für eine ziemlich reaktionäre These (nicht bezogen auf die Wortherkunft).

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  5. Das kommt wohl darauf an, was Können ist. Also ob es reaktionär ist, mein ich.

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  6. Ist ein besonderes Können erforderlich, um ein altes Rad als Kunstwerk auszustellen? Oder ein Fleck an der Wand? Oder sind solche Werke nicht gerade dazu da, um ein anderes Denken über Kunst (und damit auch über Können) anzuregen? Was denkst du?

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    1. Beides wohl. Ein altes Rad auszustellen, hat wohl weniger mit Kunst zu tun als mehr mit dem Wissen, wie, wann und unter welchen Umständen ein so perfekt funktionierendes Ding entstand. Ein Fleck an der Wand kann vieles für viele sein. Kunst ist auch, (vielleicht vor allem?) eine Gesellschaftliche Leistung. Kunsthandwerk im speziellen. Wissen das aufeinander aufbaut. Das von Generation zu Generation erweitert wird. Und ist es nicht auch so bei den bildenden Künsten? Um ein Beispiel zu nennen: wie kann jemand einen Köllner Dom, einen marmornen Goliath oder so eine Mona Lisa erschaffen? Ein wenig Können muss schon dabei sein, oder nicht? Es geht ja nicht darum im Alten verhaften zu bleiben sondern mit Hilfe des Alten zu etwas Neuem zu finden. Inspiration ist ein allgemeiner, sehr oft vorkommender und dem Menschen zugehöriger Vorgang. Auf die Art der Nutzung kommt es an und auch auf das Wissen. Wer nicht weiß, wie man strickt, wird auch keine neuen Muster finden, weil er garnicht auf die Idee kommen würde, sich überhaupt damit zu beschäftigen. Vielleicht gibt es auch Ausnahmen? Jene genialen Geister, die etwas in sich aufs kleineste überschauen und durchschauen? Aber was nützt der geniale Geist, wenn ich die Stricknadel nicht zu halten weiß?

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  7. Das führt uns direkt zur Frage: Was ist Kunst? Leider fühle ich mich weder wissend noch gesund genug, um ihr einigermaßen gewachsen zu sein. Oder haben das solche Fragen an sich?

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    1. Ob das wirklich mit Wissen und Gesundheit zu tun hat? Kunst macht seinen Leidenschaftlichen Erschaffer oft zum "Unmenschen". Manchmal auch zum "Übermenschen" und irgendwo dazwischen, so scheint mir, gibt es einen Konsens. Ich kann Dir auf diese Frage keine Antwort geben. Höchstens metaphorisch beigeben, dass Kunst für mich ein Spiegelsaal ist, der das Sein und Nicht-Sein in allen seinen Facetten zerbricht, zerlegt, verdeutlicht und überhöht. Allgemeingültig ist das wohl nicht. ;)

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  8. Und auch hier ahmte - zu meiner idealisierten Erschütterung - der gute Teddy Adorno den alten, vergessenen Gabriel Tarde nach.

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