Sonntag, 7. April 2013

Bemerkungen zu "Die narzisstische Gesellschaft" (Maaz)

Wenn man eine Zeit lang die Luft des Buddhismus zu atmen gelernt hat, und sich dann wieder den altvertrauten westlichen Diskursen zuwendet, kann einem leicht flau im Magen werden. So geht es zumindest mir. Mir ist, als ob ich von einer luftig-lichten Höhe in eine dunkle, verschwitzte, stinkende und viel zu enge Gruft hinabsteigen müsste, aus der alle paar Minuten Schmerzensrufe erschallen. Im Dunkel kichert die unvermeintliche Peitsche. Unverdautes Christentum, Rückschritt, Regression ... Ein gutes Beispiel ist das Buch von Maaz "Die narzisstische Gesellschaft".

Maaz schreibt, dass ein Kind, das in den ersten drei Jahren zu wenig Liebe und Zuwendung erfahren habe, sich im späteren Leben zu einem narzisstischen Menschen entwickelt, der diesen Urmangel durch Kompensationsbemühungen zu überdecken sucht. Wirklich glücklich könne solch ein Mensch aber niemals mehr werden, so Maaz. Diese zu Unglück verdammten Wesen seien es auch, die für die allermeisten Übelstände in der Welt verantwortlich sind: gierige Banker, korrupte Politiker, Kriege etc. Einerseits seien sie nicht schuld daran, niemals echtes Glück erleben zu können, andererseits sollen sie lernen, den unstillbaren Durst ihres Herzens zu zügeln, um dieser Erde nicht auch noch den letzten Stoß zu verpassen. Für die narzisstischen Menschen hält Maaz also nur den schmerzhaften Becher der Selbsterkenntnis bereit. Den Schaden zu begrenzen sei das einzige Ziel.

Ich sage nicht, dass diese Überlegungen falsch sind. Sie sind fundiert. Aber die Bedeutung, die Maaz ihnen beimisst, hat etwas Verhängnisvolles. Wenn ich glaube, dass ich niemals wirklich glücklich sein kann, weil mich meine Mutter zu wenig geliebt hat, werde ich auch unglücklich sein. Ich kann immer jemanden dafür verantwortlich machen, warum es mir nicht gelingt, Verantwortung zu übernehmen. Woran könnte auch eine Mutter nicht schuld sein? Ein Buddhist würde Maaz' Fixierung auf die frühkindliche Phase vielleicht als Anhaftung deuten: Maaz identifiziert sich mit dem ungeliebten Kind und kann sich deshalb nicht von der Vorstellung befreien, ein solches ungeliebtes Kind zu sein. Daraus entsteht sein Leiden und damit wohl auch sein Bedürfnis, dieses Leiden nicht nur in so vielen Büchern zu behandeln, sondern sogar die Schieflage der Gesellschaft aus diesem einen schmerzenden Punkt zu erklären. Das ist kein Psychologismus; Maaz spricht in Interviews selbst über seine "Muttervergiftung". Er lässt sich also nicht zu den Gesunden rechnen, deren Glück ihm gemäß der eigenen Logik zwar verschlossen bleiben muss, das er aber doch irgendwie zu erahnen scheint. Das nennt man wohl - Samsara?

1 Kommentar:

  1. "Ich kann immer jemanden dafür verantwortlich machen, warum es mir nicht gelingt, Verantwortung zu übernehmen." ---> Ein wirklich sehr weiser Satz :)

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