Freitag, 16. November 2012

Die Krise des Bösen

Ich bin ein Mensch, der Gründe braucht, um leben zu können. Dieses Leben ist nicht durch sich selbst gerechtfertigt, ich muss ihm irgendeinen Metatext unterlegen, der es mit dem Blut der Bedeutung versorgt. Zu dem selbstgefälligen "Ich stehe hier, ich kann nicht anders", das aus den Augen einer zufriedenen Kuh spricht, die auf einer Wiese rumlümmelt, bin ich nicht fähig. Leider sind mir in den letzten Monaten die Gründe ausgegangen, so dass ich ziemlich auf dem Zahnfleisch krieche.

"Geben Sie mir eine Tüte mit neuen Gründen!", fordere ich den Dämon mit dem Stierkopf und dem viel zu engen Anzug auf. Er sitzt der Agentur zur Durchsetzung des bösen Prinzips auf der Erde vor und wird vom Satan selbst finanziert (in der Hölle arbeitet niemand ehrenamtlich). "Wie? Aber Sie haben doch erst vor einem halben Jahr neue Gründe zugeteilt bekommen!"

"Was kann ich denn dafür, wenn die Gelehrten der Unterwelt zu dumm sind, um etwas zu ersinnen, das einen Geist wie den meinen über einen längeren Zeitraum hinweg zu stimulieren vermöchte. Dabei haben doch gerade sie als böse Geister die Möglichkeit, wirklich alles zu denken, ich meine, welche Grenze gäbe es, die sie zu achten hätten? Welche Hemmung, die sie zurückhielte?"

"Unsere Gelehrten arbeiten Teilzeit. Viele wissen nicht einmal, wie sie ihre Familien anständig verderben sollen, so wenig verdienen sie. Seit der Glaube an die diabolischen Mächte weltweit zurückgegangen und mancherorts sogar vollkommen eingeschlafen ist, haben wir hier unten mit großen Liquiditätsproblemen zu kämpfen.  Die Kassen sind einfach leer."

"Dann können sie Ihren Laden ja zusperren. Das Böse scheint auch nicht mehr das zu sein, was es einmal war!"

"Halten Sie sich bitte zurück, junger Mann! Auch ich arbeite nur auf Stütze. Denken Sie etwa, ich trüge diesen fürchterlichen Anzug, wenn ich mir einen besseren leisten könnte?"

Das Telefon klingelt. Nach einer ebenso kurzen wie heftigen Unterredung mit seinem Boss erhebt sich der Dämon von seinem Stuhl, um nach einer Tüte mit guten Gründen zu suchen. Jetzt scheint auch ihm bewusst geworden zu sein, wer ich eigentlich bin. Ich bin die letzte Hoffnung des bösen Prinzips auf der Erde. Oder richtiger gesagt: Ich war die letzte Hoffnung dieses Prinzips. Der Dämon versucht noch hastig, mir die Tüte in die Hand zu drücken. Doch es ist zu spät. Ein so lascher Klub ist nichts für mich.

Ich werde mir meine Gründe anderswo suchen. Aber brauche ich überhaupt Gründe um zu leben? Vielleicht sollte ich bei den Kühen in die Schule gehen.

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