Montag, 29. Oktober 2012

Heiße Luft

Platons Höhlengleichnis zieht seine suggestive Kraft aus der Vorstellung, dass es so etwas wie wahres Wissen gebe. Der Freigelassene schaut mit schmerzenden Augen in das Licht der Sonne, die die Wahrheit symbolisiert, während seine Gefährten nach wie vor gefangen in der Höhle sitzen und die Schatten, die man vor ihnen vorüberspielen lässt, mit dem Sein der Dinge verwechseln. Die Metaphorik der Aufklärung funktioniert ähnlich. Lange herrschte die Nacht, das "dunkle Mittelalter", doch jetzt suchen sich die ersten Sonnenstrahlen einer neuen, einer lichteren Zeit ihren Weg durch das Dunkel.
 
Für einen Skeptiker sind diese Gleichnisse und Metaphern natürlich höchst problematisch. Denn er glaubt nicht, dass sich eine absolute Wahrheit ausmachen lässt - und damit kann er auch nicht publikumswirksam zwischen dem Licht der Sonne und den Schatten der Höhle unterscheiden. Er ist strukturell derjenige, der die Dramaturgie durcheinanderbringt, die ohne das Pathos der Wahrheit nicht denkbar ist. Seine Nacht wird niemals einer Morgenröte weichen, eben weil er keine Nacht kennt, sondern bloß einen Nebel, in dem eines so gut wie das andere ist. Er will niemanden aus der Höhle befreien, weil es für ihn keine Höhle gibt. Gleichzeitig ist er eine zutiefst humane Figur, weil in seinem Denken weder Hierarchisierungen noch Elitenbildungen auf der Grundlage von Wissen möglich sind. Ein Skeptiker kann vieles, aber eines gewiss nicht: sich auf sein Denken etwas einbilden. Er produziert eben nur heiße Luft. Dass er dies weiß und trotzdem lächeln kann, macht seine subversive Menschlichkeit aus.

2 Kommentare:

  1. schön, mich endlich wieder von deinen textlichen verausgabungen berieseln zu lassen - lese ab sofort wieder fleißig mit und werde mich demnächst um futter für deine kritik bemühen.
    herzlichst.

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  2. Du hast also noch nicht genug von meinem seelenverderbenden Einfluss? Gut zu wissen ;)

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