Dienstag, 5. März 2013

Unendliche Substanzlosigkeit

Die Vorstellung, das Gute könne mit dem Bösen im Kampfe liegen, ist eine Projektion des Bösen. Denn dass dieser Kampf stattfände, bedeutete schon den Sieg des Bösen. Es bedeutete, dass seine Provokation erwidert und damit auch der seelische Unterschied jener beiden Prinzipien zugunsten des bösen Prinzips aufgehoben worden wäre. Das Gute kämpft nicht und siegt nicht. Es ist.

Das Böse kann nur im Schatten überleben; es bedarf der Lüge, der Unklarheit und der leuchtenden Rhetorik, um darüber hinwegzutäuschen, dass es in einem substantiellen Sinne nicht existiert. Es kann nicht triumphieren. Wo immer es siegt, hat es die Herrschaft über eine längst verlöschende Seele errungen. Wer von dieser Seelenkrätze befallen ist, verfügt über ein besonders feines Sensorium für die offen Wunden der anderen. Allerdings nicht, um ihnen zu helfen, sondern um mit aller Kraft in diese Wunden hineinzustoßen. Das Böse drängt danach, Hass und Missgunst auf sich zu ziehen, um nur niemals seiner unendlichen Substanzlosigkeit gewahr zu werden. Nichts fürchtet es mehr, als einen ruhigen Blick auf sich selbst zu werfen. Böse Menschen ahnen wohl, dass sie böse sind, aber sie wagen es nicht, sich zu kennen. Sie ängstigt das Auge, das ihnen bis auf den Grund der Seele sieht, das gütige Auge eines reifen Menschen. In seiner Gegenwart kommen sie sich wie Kinder, Patienten oder beides zugleich vor. Was sie meinten zu sein, liegt in Scherben um sie gestreut. Das darf nicht sein. "Immer diese Gutmenschen, die sich für sonstwas halten!"

4 Kommentare:

  1. *sich beides zugleich fühlt*

    Wieder ein sehr schöner Post Julian.

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  2. Danke. Du musst dich aber nicht böser machen als du bist ;)

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  3. Danke! Wenn man für manche Menschen das Böse schlecht hin ist, fällt einem das manchmal schwer, an sich selber noch was gutes zu finden.

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  4. Das Gute „ist nicht,“ genau so wenig wie das Böse gegen das Gute kämpft. Vielmehr ist alles eine Frage des Finden und immer wieder neu Bilden Deines/meines inneren prozessualen Gleichgewichts im jeweiligen eigenen Seinsausdruck.
    Das Böse ist mithin ein Ausdruck nicht gefundenen Gleichgewichts in mir, ist, da eine jede unserer gleicherweise inneren, wie äusseren Taten in Resonanzen nach aussen wirkt und sich fortpflanzt eine verdichtete Spiegelung vieler menschlicher Ungleichgewichte auf mich/uns zurück. Das Böse, aus einer Haltung der Abstraktion heraus gesehen, ist eine Fata Morgana.
    Unmittelbar existenziell gesehen, werden wir im Blick auf unsere eigenen vielen Ungleichgewichtszustände in einen inneren Strudel hinein gerissen, der uns im „Erfahren der Furcht“ herausfordert unsere Existenz im Ich zu gründen.
    Das Böse ist demnach eine schleichende Manifestation des Ego mit seinen vielfältigen Fangarmen das innere Gleichgewicht in Bezug auf unseren eigentlichen Wesenkern hin beständig neu zu unterlaufen. In seiner möglichen Form Vollendung, etwa in einer Diktatur, erblindet das Böse zunehmend für jeden menschlichen Ausdruck in seinem jeweiligen sozialen Umfeld, das Gefühl für Menschliches erstirbt. Es löst sich aus den inneren Zuständen des Ungleichgewichts vieler Einzelner heraus und wird zu einem eigenständigen Wesen, einem Moloch.
    Zu begegnen ist dem Bösen einzig aus dem Ich, also dem ins Sein gebrachten, gelebten inneren Gleichgewicht. Hier liegt meine/Deine Verantwortung, ganz innen in mir/Dir und sonst nirgendwo.

    © Bernhard Albrecht, 25.03.2013


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