Damit man etwas ablehnen kann, muss man es zuallererst verstanden haben. In Bezug auf die Philosophie Hegels ist die Ablehnung groß, doch welcher seiner Kritiker könnte schon von sich sagen, ihn wirklich verstanden zu haben? Ist die Ablehnung Hegels nicht allzu oft eine Abwehrmaßnahme, zu deuten als Zeichen einer Überforderung, deren Gründe der Kritiker nicht bei sich sucht, sondern Hegel zuschiebt? Schopenhauers Ausfälle gegen Hegel sind ebenso bekannt wie substanzlos. Es mag beizeiten ein angenehmes Gefühl sein, selbst einen anerkannt großen Geist an Hegel scheitern zu sehen. Über die philosophische Bedeutsamkeit ist damit freilich noch nichts ausgesagt.
Was ist nun dran am Hegel? Auch ich kann von mir nicht sagen, ihn
verstanden zu haben, aber wer könnte das schon? Überhaupt ist der
Begriff des Verstehens ein schwieriger. Niemand verfügt über einen
privilegierten Zugang zu des Meisters Gedanken, niemand weiß, was Hegel
genau gemeint hat. Da sind eben nur diese schwer zu lesenden Texte und
eine Fülle von Interpretationen, die einem die Lektüre vorstrukturieren,
ob man dies nun will oder nicht. Aber so geht es uns letztlich mit allen
Texten, egal wie sicher wir uns ihres Gehalts auch wähnen mögen. Wir
produzieren fortwährend Interpretationen, oft sogar bloß
Interpretationen von Interpretationen. So fragen wir uns, wie die Frage, ob der
Übermensch Nietzsches die Nazis inspiriert habe, in der Forschung diskutiert worden sei, interessieren uns also dafür, wie sich unsere Interpretation der nazistischen
Nietzsche-Interpretation zu früheren Interpretationen der nazistischen
Nietzsche-Interpretation verhält. Niemand sollte sich darüber wundern,
weshalb philosophische Bibliotheken so ausufern können, ohne dass damit
irgendein Fortschritt angezeigt sein müsste.
Am besten wird noch immer sein, zu den Texten selbst zurückzukehren. Um klar
zu sehen, dass auch diese Texte nicht um sich kreisen, sondern ihre Rechtfertigung außer sich haben. Sollte man zumindest meinen. In
Hegels Logik kreist das Denken um sich selbst. Das reine Sein sei
mit dem reinen Nichts identisch, kann man dort lesen. Aus Sein und
Nichts versucht Hegel das Werden abzuleiten. Den Satz vom
ausgeschlossenen Dritten, der seit der Antike in philosophischen Ehren stand, verwirft er. Wenn etwas ist oder nicht
ist, bleibt kein Platz für ein Werden, für einen Übergang zwischen jenen beiden Bestimmungen. Es sieht so aus, als würde Hegel mit
den Begriffen spielen. Dass am Ende das herauskommt, was er sich wünscht, wird niemanden überraschen.
Es ist leicht gesagt, dass man eine Philosophie aus dieser selbst heraus
verstehen müsse. In der Tat ist es zum Zwecke einer fairen
Beurteilung zwingend erforderlich, sich mit allem, was man hat, in das
kalte Wasser einer Philosophie vorzuwagen. Was aber, wenn man dabei den
Grund unter den Füßen verliert? Hegel ist das nicht, was man anschlussfähig nennt. Man kann sich von ihm keine interessanten Stücke herausschneiden und dem eigenen Denken beifügen. Hegel ist ein sehr
fordernder Denker, auf den man sich einlassen muss.
Viele Philosophen sind bis in ihre Sprache hinein von Hegel geprägt
worden, man denke nur an die Junghegelianer mit Feuerbach, Stirner, Marx
oder auch an Adorno. Es scheint, als ob das Denken dieser Männer selbst
umgestülpt worden wäre. Sie alle hegeln, man könnte auch sagen: Sie haben sich einer dialektischen Denkungsweise verschrieben. Nichteingeweihte
mögen ihre dialektischen Sprachformen abschrecken - oder gerade
wegen der Aura des Exklusiven anziehend finden.
Aber was hat es nun mit der Dialektik auf sich? Diese Frage kann ich -
wie zu erwarten ist - nicht in wenigen Sätzen beantworten, jedoch einige
Überlegungen hinstreuen. Ein Subjektphilosoph, sagen wir Kant,
subjektiviert die Erkenntnis; sie ist ihm nur als Erkenntnis eines
einzelnen erkennenden Menschen möglich. Das Ding an sich bleibt ihm unerkennbar. Diese transzendentale Konzeption lehnt Hegel ab; er sagt, dass das Ding an
sich ein leerer Begriff sei, weil er nichts begreife. Hegel will
vielmehr das gesamte Sein gedanklich erfassen, also Subjekt als auch
Objekt zusammendenken. Sein Erkenntnisoptimismus ist grenzenlos:
"Der Mensch, da er Geist ist, darf und soll sich selbst des Höchsten würdig achten; von der Größe und Macht seines Geistes kann er nicht groß genug denken. Und mit diesem Glauben wird nichts so spröde und hart sein, das sich ihm nicht eröffnete. Das zuerst verborgene und verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft, die dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte; es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse geben." (aus den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie)
Das rein geistige Zusammendenken, das
beständige Betrachten und Beziehen aller Momente aufeinander, zeichnet
den Idealismus Hegels aus. Er will in seiner Logik dem Denken
gewissermaßen dabei zusehen, wie es sich entwickelt und vorwärtsstrebt,
ohne sich subjektiv in diesen Prozess einzumischen. Subjektphilosophen
werden an dieser Stelle aufschreien. Aber es ist wirklich so: Hegel will
die Trennung zwischen Ich und Welt aufheben. Dabei geht es ihm nicht
nur darum, diese beiden Entitäten anders aufeinander zu beziehen, sie sollen
auch eine Bewegung durchmachen, in dem sie sich beide aufheben und
wiederum nicht aufheben, eben ihre idealistische Synthese im absoluten
Geist finden. Dieses beständige Durchdenken aller Momente macht es so
schwer, Hegel zu fassen zu bekommen. Über den orthodoxen Hegelianer Kojève, der Hegel bei den Intellektuellen Frankreichs populär machte, hieß es, er könne alles und von allem das Gegenteil beweisen.
Bei Kant gibt es eine phänomenale und eine noumenale Welt. Auch diese
Trennung akzeptiert Hegel nicht. Seine Philosophie, die sehr von
Spinozas Pantheismus beeinflusst ist, anerkennt Trennungen nur als Etappen eines Prozesses, der dem Absoluten zustrebt.
Die dialektische Methode beeindruckte die Junghegelianer um Marx, weil
sie es ihnen ermöglichte, Subjekt (Proletariat) und Objekt
(gesellschaftliches Sein) zusammenzudenken. Obwohl sich das allgemeine
Interesse für den Hegelianismus längst abgekühlt hatte - Hegels Antipode
Schopenhauer avancierte zum Modephilosophen des 19.
Jahrhunderts -, entwickelten sie Hegels Methode weiter (oder
vulgarisierten sie, ganz wie man will), auch wenn sie das Erbe ihres
Meisters in vielem der Ironie preisgaben. Wohin politischer Monismus führen kann, hat das 20. Jahrhundert dann gezeigt. Man kann sich
darüber streiten, ob der Totalitarismus in Hegels Philosophie angelegt
ist oder nicht. Er selbst jedenfalls begnügte sich damit, das
Bestehende, den preußischen Staat der Goethe-Zeit, zu feiern. So habe
ich es jedenfalls mehrfach gelesen; auch hier stehen Nachforschungen an.
Über die Philosophie sagt Hegel, dass sie ihre Zeit in Gedanken sei. Darum habe jede Zeit ihre eigene Philosophie.
"Es kann deswegen heutigentages keine Platoniker, Aristoteliker,
Stoiker, Epikureer mehr geben. Sie wiedererwecken hieße, den
gebildeteren, tiefer in sich gegangenen Geist auf eine frühere Stufe
zurückbringen wollen." (aus den Vorlesungen über die Geschichte der
Philosophie)
Auf Hegel angewandt könnte man fragen: Kann man heute noch ein
Hegelianer sein? Doch auch hier hat Hegel schon das Andere mitgedacht
und festgestellt, dass alle Philosophien in ihren Prinzipien fortleben.
Wenn wir uns fragen, ob uns Hegel noch etwas zu sagen habe, stellen wir
genau die Frage, die Hegel immer und immer wieder gestellt hat. In diesem
Sinne bleibt er ein eminent moderner Denker.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenHegel wuerdigen oder kritisieren ohne ihn verstanden zu haben??.... Offenbar hat Hegel es nicht geschafft, seine komplexe Gedanken verstaendlich zu beschreiben. Fuer mich als Laien ein Grund, mich mit ihm nicht zu beschaeftigen.
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