Montag, 6. August 2012

Wo es umkippt

Oh fishy human being! Man ist in tausend Dialektiken eingewoben und kann nie sagen: Aber so ist es! Wenn ich etwa sage, dass es mir für die Welt leid tue, weil ihr Geschrei vor meinem Wachsein nicht bestehen könne, so ist damit noch lange kein Sieg angezeigt. Ich kann die gespenstische Autonomie eines Weininger nie lange durchhalten. Auch in mir sprudeln die warmen Quellen des Lebens, die es niemals zulassen werden, dass ein Gedanke über Leib und Seele gänzlich Herr werde. Auch in mir stürmen die Massen, die dem Vereinzelten, der nicht mit ihnen zieht, Schuldgefühle einraunen. Schuld ist Vereinzelung; aber es ist immer nur der Einzelne, der denkt. Die Konzentration lässt nach, die zwingende Folgerichtigkeit verliert sich in Rhetorik, nichts passt mehr zusammen, ich muss einen Schnitt machen. Es gibt da diesen Punkt, wo alles umkippt, einfach umstürzt, einstürzt. Um ihn zu finden, muss ich nur "Geschlecht und Charakter" aufschlagen und ernstlich durchlesen. Auf diese Weise kann ich leicht Kopfschmerzen herbeiführen. Aber der Geist wehrt sich gegen seine Misshandlung, und auch die tieferen Seelenschichten brodeln vor Erregung; sie wollen nicht ans Licht gezerrt werden; die Seele will nicht erkannt sein. Der Wille zum Leben strebt danach, sich die Wahrheit über sich zu verdecken. Er lässt mich, anstatt weiterzuforschen, hungrig oder müde werden oder Olympia ernstnehmen. Ich will die Radikalität auf die totalst absoluteste Spitze treiben; er nur seine Ruhe. Und er ist mächtiger; immer wieder begradigt er mein ausgerenktes Bewusstsein, bis es wieder glatt daliegt wie ein Teich, in dem sich das letzte Licht des Tages spiegelt.

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