Sonntag, 19. August 2012

Das Schwarze Quadrat


Man mag über Malewitschs Schwarzes Quadrat lachen. Sicherlich handelt es sich bei diesem Bild um kein Kunstwerk im üblichen Sinne. Es ist nicht klassisch schön, es sei denn, man ist Liebhaber geometrischer Formen.

"Das kann ich auch", werden viele sagen, die es sehen und nicht begreifen mögen, dass ausgerechnet dieses Bild als Ikone der Moderne gilt. Es wäre sogar leicht möglich, den Meister des Suprematismus zu übertreffen, hat sich doch herausgestellt, dass die Seiten des Quadrats unterschiedlich lang sind, es im strengen Sinne also gar kein Quadrat ist. Aber das ist nicht das Wesentliche. Ein anderer als Malewitsch hätte dieses Bild nicht malen können, nicht, weil es schwierig wäre, schwarze Quadrate zu malen, sondern weil nur jener eine Russe in jenem ausgesuchten historischen Augenblick inmitten des Ersten Weltkrieges eine genügend distinkte, von orthodoxer Metaphysik und der jungen westeuropäischen Malerei inspirierte Vorstellung von Gegenstandslosigkeit entwickelt hatte.

Groys sagt, dass die Avantgarde niemandem gefalle, worin sie sich von der Massenkultur unterscheide. Suprematistische Bilder etwa beleidigen die Alltagsintelligenz, die, gewohnt in jedes menschliche Erzeugnis einen Sinn hineinzuentdecken, sich in den eigenen Schwanz beißt. Die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, ist das Symbol für die Tautologie. Das Schwarze Quadrat ist das Schwarze Quadrat: Jede über diese Feststellung hinausgehende Interpretation erzeugt überflüssigen Sinn, der Klarheit nicht schafft, sondern zerstört. Das Schwarze Quadrat kann den Betrachter dazu bringen, über sein Denken nachzudenken. Was sich hinter diesem Bild verbirgt? Die Wand des Russischen Museums in Sankt Petersburg!

So wie wir unsere Haustiere zur Stubenreinheit erziehen, so sollten auch wir uns dazu ermuntern, nicht unter allen Umständen Sinn aus uns herauszuwürgen. Die Sinnlosigkeit unserer Zeit ist  eine Hypertrophie des Sinns: Es gibt zu viel Sinn bzw. Sinnangebote, die sich gegenseitig aufheben. Was wir brauchen, ist etwas Unplausibles, etwas, dass sich, ähnlich einem Hund, der sich die Nässe aus dem Fell schüttelt, nicht etikettieren lässt. Denn Hand aufs Herz: Niemand weiß genau, was es mit dem Schwarzen Quadrat auf sich hat. Und wer meint, aus diesem Text irgendetwas gelernt zu haben, der ist noch zu schlau für seine Weisheit.

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