Sonntag, 5. Mai 2013

Die Liebe in "Titanic"

Ich sehe mir das Video von "My heart will go on" auf You-Tube an, den Song des Kassenschlagers Titanic. Celine Dion lächelt nicht, sie wagt es nicht. Denn es geht um die große Liebe. Ein User schreibt im Kommentarbereich: "[...] for some reason it gets made fun of a lot. I'm guessing by envious people that have never felt love." Frei übersetzt: Nur jemand, der niemals Liebe gefühlt hat, kann sich über diesen Film lustig machen. Warum wird dieser Film mit der Liebe schlechtin assoziiert? Warum geht von "Titanic" eine so große Wirkung aus?

Zunächst einmal sehe ich das Motiv des Opfers. Der Hauptdarsteller Jack stirbt freiwillig, um seine Freundin Rose zu retten. Nichts in der Welt ist ihm wichtiger als Rose, und deshalb hat er auch die Kraft, seinen natürlichen Egoismus zu überwinden und an ihrer Stelle zu sterben. Man kann immer sagen, dass einem jemand wichtiger ist als alles andere. Aber wenn man wirklich bereit ist, für diesen Menschen zu sterben, ist das eine andere Qualität. Dies ist der ultimative Beweis der Liebe, denn Jack kann ja nichts mehr zurückhalten, kein beliebiges Doppelleben irgendwo anders mit einer anderen führen, wenn er im eiskalten Atlantikwasser ertrinkt. Er gibt sich ganz für Rose hin.

Wäre das Schiff nicht untergegangen, hätte Jack keine Möglichkeit gehabt, diesen ultimativen Beweis zu erbringen. Das normale Leben ist weitaus prosaischer. Es bietet wenig Möglichkeiten, als selbstloser Held zu glänzen. Vielleicht kamen viele Besucherinnen seufzend aus diesem Film und fragten sich, warum es solche Männer in der Wirklichkeit nicht gäbe. Man könnte darauf trocken antworten: Weil sie nicht gebraucht werden. Das ist aber nicht alles. Das Faszinierende an Jack ist, dass er sich als Mann für Rose opfert. Die Frau, gesellschaftlich in jeder Hinsicht benachteiligt, wird durch die aufopfernde Liebe des Mannes zu einem heiligen Wesen erhöht. Gerade weil der Film nicht realistisch ist, vermag er so große Gefühle zu wecken. Einerseits gilt Jacks Verhalten als tugendhaft, andererseits wäre es für eine Frau eine unglaubliche Zumutung zu wissen, dass jemand nur für sie gestorben ist. "My heart will go on" - das ist leichter gesungen als getan. Durch sein Opfer hebt Jack die Gleichheit zwischen ihm und Rose für alle Zeiten auf. Sie wird für immer in seiner Schuld stehen und er sie auf ewig belasten mit dem tödlichen Beweis seiner Liebe. Vielleicht hätte Cameron beide sterben lassen solllen.

Auch die Intensität der Liebe spielt eine große Rolle. Jack und Rose lernen sich erst auf dem Schiff kennen. Sie haben keine lange Beziehung hinter sich und keine Krisen überstanden. Sie sind jung, attraktiv und ineinander verknallt. Jack opfert sich für eine Frau, die er gar nicht wirklich kennen kann. Er hat nicht gelernt, sie zu lieben; er ist "bloß" in sie verliebt. Man mag sich Jack und Rose kaum als altes Ehepaar vorstellen, das ein mäßig glückliches, routiniert-gewöhntes Leben führt. Ihre Liebe hatte nie die Chance, alt zu werden. Durch seinen frühen Tod lebt Jacks Liebe in Rose' Herz als reine, unwandelbare, ewige Liebe fort. Dort ist sie eingeschlossen wie die Fliege im Bernstein - und ebenso lebendig.

1 Kommentar:

  1. Hallo Julian,

    ich finde deine Analyse von dem Musikvideo ziemlich interessant, gerade weil die Beziehung zwischen Rose und Jack oft als modernes Romeo und Julia gehandhabt wird. Allerdings habe ich zu dem zweiten Abschnitt eine vielleicht etwas provokante Frage:
    Ist es es wirklich ein Zeichen absoluter Hingabe für jemanden zu sterben? Auch wenn der Tod endgültig ist und einem jede Chance auf eine Zukunft (eventuell auch mit der Person für die man gestorben ist) nimmt, so ist "befreit" er einen doch davon, ein Leben lang für jemanden zu kämpfen. Einfach gesagt, wer tot ist muss keine Verantwortung (eventuella auch für die Person die man liebt) mehr tragen.
    Wäre der ultimative Beweis für die Liebe nicht viel mehr das lebenslange Opfern von eigenen Chancen, nicht nur im Zwischenmenschlichen-, sondern auch Beruflichen- oder Freizeitbereich? Denn sterben kann (und muss) jeder, leben hingegen, gerade wenn man es für jemand anders tut, kann so viel schwerer sein.

    Viele Grüße,
    Pearl

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